Die Kurse des Leistungsfachs Deutsch trafen an den Literaturtagen Badenweiler den österreichischen Schriftsteller Arno Geiger

Als Karl der V., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, sich von seinem damals schon berühmten Hofmaler Tizian porträtieren ließ, fiel diesem der Pinsel zu Boden. Und dann stockte der versammelten Hofgesellschaft der Atem: Der Kaiser bückte sich, hob den Pinsel auf und reichte ihn dem Maler. Für Arno Geiger wirft diese Anekdote ein Schlaglicht auf die Persönlichkeit des Kaisers: ein Moment, in dem der Herrscher aus der Rolle fällt, lange bevor er sich zu seiner für die damalige Zeit unerhörten freiwilligen Abdankung entschließt. Dieses unkonventionelle Verhalten und ein Zufallsfund in einer Wiener Papiermülltonne brachten Arno Geiger auf die Idee zu seinem Roman Reise nach Laredo (2024), in dem er sich der historischen Figur auf literarisch-künstlerischem Wege nähert.

Auf Einladung der Badenweiler Literaturtage konnten die Deutsch-LF-Kurse 11 des MGM nun bereits zum dritten Mal einen bedeutenden Autor der Gegenwartsliteratur hautnah erleben. Nach einer Lesung aus seinem aktuellen Werk stellte sich Arno Geiger den Fragen der Schülerinnen und Schüler – ein Austausch, der ihm erkennbar Spaß machte.

 

Den Anfang macht der Gastgeber und Moderator Rüdiger Safranski, der in gewohnter stilistischer Präzision mit wenigen rhetorischen Strichen die historische Figur Karls V. und seine historische Bedeutung konturierte. Im Anschluss las Arno Geiger den Anfang seines Romans und eine ausgewählte Passage vor. Der leicht süddeutsch gefärbte Klang und die zurückgenommene Vortragsweise ließen die Doppelbödigkeit des Textes und die Ironie des Erzählers immer wieder subtil aufscheinen.

 

Doch Geiger interessiert weniger die historische Figur Karls V. als vielmehr der Mensch Karl. Von schwerer Krankheit gezeichnet, muss er feststellen, dass auch sein Rückzug aus dem Zentrum der Macht in die Einsamkeit des Klosters Yuste ihm nicht den Zugang zu sich selbst, zur Person jenseits der Rolle, eröffnet hat. „Die Tür zum Glück geht nur nach außen auf“ – diese Erkenntnis des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard könnte den Ausgangspunkt zu Karls letzter Reise ein: einem Roadtrip nach Laredo, ans offene Meer. Ob diese Reise ein Traum oder Realität ist, fragen sich die Leser, aber das ist gar nicht der Punkt, es geht um die Erlebnisse und Begegnungen, die Karl dabei durchläuft. Denn auch dieser Weg ist beschwerlich und alles andere als gradlinig, doch am Ende, kurz vor seinem Tod, findet der alte Karl doch noch seinen Frieden.

 

Die Fragen der Schülerinnen und Schüler im anschließenden Gespräch eröffneten einige Einblicke in Geigers schriftstellerischen Arbeitsprozess sowie in zentrale Motivationen seines Schreibens. Dass er für die Niederschrift der „Reise nach Laredo“ gerade einmal zwei Monate brauchte, dürfte die Zuhörerschaft weniger überrascht haben als die Aussage, dass dem Schreiben eine jahrelange Auseinandersetzung mit dem Stoff vorausging. Auf die Frage, warum er überhaupt Bücher veröffentliche, erläuterte der Autor zentrale Punkte seines künstlerischen Credos: Einerseits den Lesern Impulse zu geben, über das eigne Leben nachzudenken, indem er literarische Figuren schafft, die sich mit Fragen auseinandersetzen, die uns alle beschäftigen: „Wenn du keinen Namen hättest/keine Geschichte/keine Lebenserinnerungen/keine Familie/einfach nur du selbst […] Wer wärst du dann?“, fragt sich Karl (S. 28). Gleichzeitig hält Geiger ein Plädoyer für das Nicht-Perfekte, die Fehlbarkeit, die Schwächen – was für ihn die Menschlichkeit und Schönheit, im Leben wie in der Kunst ausmacht.

 

So gelingt es dem Autor, mit seinem Roman, aber auch im Gespräch mit den Jugendlichen, eine Brücke zu schlagen zwischen ihrem Leben und dem Schicksal des alt gewordenen Kaisers auf der Suche nach sich selbst: Denn ein bisschen Karl steckt eben auch in jedem von uns.

 

Text/Fotos: Dorothea Schmidt

 

 

 

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